FAQ

FAQ

Restitution meint das Herauslösen (Deakzessionieren) von kulturellen Objekte aus ihren derzeitigen Sammlungskontexten im Museum. In kollaborativer Zusammenarbeit zwischen den Gemeinschaften (communities) und kulturellen Instituionen können diese Objekte zu denjenigen zurückkehren, die sie genutzt haben oder für die sie bedeutsam sind oder waren, bevor sie Teil musealer Sammlungen wurden. Die Restitution kulturellen Erbes kann sowohl materiell als auch immateriell stattfinden, ledigliche Rückgabe ist nicht das Ziel: jedes Objekt erhält seine Bedeutung erst in kulturellen Kontexten.

Ziel der systematischen Provenienzforschung ist es, aktiv sammlungshistorische Kontexte zu ermitteln, die Repatriierungen und Restitutionen von Sammlungsbeständen möglich oder gar notwendig machen. Provenienzforschung wird auch an Objekten durchgeführt, die nicht im kolonialen Kontexten erworben sind. Zur Information zu Provenienzforschung in der SKD, klicken Sie bitte hier.

Provenienzforschung kann durch Anfragen aus Herkunftsgesellschaften ausgelöst werden. Forscher:innen und Vertreter:innen der Herkunftsgesellschaft oder der Herkunftsländer sind zusammen an den Entscheidungsprozessen der Forschung mitbeteiligt. Wenn die Repatriierungs- oder Restitutionsansprüche bestätigt werden, legen die Museen und Vertreter:innen der Herkunftsgemeinschaft oder Herkunftsländer gemeinsam den geeigneten Rahmen für die Rückführung fest. Dieser kann eine Zeremonie beinhalten. Rückführungen sind ebenso materiell wie immateriell; die Ergebnisse der Provenienzforschung werden auch restituiert.

Die SES-Museen haben in den vergangenen Jahren bereits Provenienzforschung zu ihren Sammlungen und Objekten betrieben. Mehr und mehr hat sich eine dekoloniale Methodik etabliert in dieser Fachrichtung etabliert. Dabei steht im Vordergrund, Machthierarchien der Kolonialzeit neu zu bewerten und die Ethik des Objekterwerbs zu berücksichtigen. Unter solche Themen finden sich koloniale Kontextforschung und anti-rassistische Sprache, ebenso wie ethische Grundlagen zu Handlung, Dokumentation und Vermittlung.

Im späten 19. Jahrhundert versuchten europäische Wissenschaftler die neuen Evolutionstheorien zur Abstammung des Menschen mit Beweisen zu belegen. Darunter fiel auch die heute widerlegte Rassentheorie. Hiernach gäbe es Menschen unterschiedlicher Rassen mit bestimmten Eigenschaften. Diese wären auch an den Skelett- und Schädelformen ablesbar. Deshalb verglichen Wissenschaftler menschliche Knochen, Schädel und Haare aus allen Teilen der Welt. Teilweise wurden auch Kolonialbeamte, Missionare, Militärs oder Privatpersonen mit der Beschaffung beauftragt.

Währenddessen kämpften die kolonisierten Gemeinschaften um ihre Existenz und Lebensweise. Politische Systeme, kulturelle Praktiken, Sprachen und familiäre Beziehungen wurden durch eine Welle kolonialer Gewalt, Ausbeutung der Ressourcen und eingeschleppter Krankheiten vernichtet. Bestattungsrituale wurden gestört und Gräber ausgeraubt. Verstorbene Menschen konnten teilweise nicht bestattet werden.

Die Knochenjäger und Sammler entnahmen direkt nach dem Tod der Personen deren Knochen und schickten sie nach Europa. Dort dienten die Vorfahren der Forschung und dem Ausstellen, oder sie wurden auf dem wachsenden Markt für Knochen von verstorbenen Menschen weiter verkauft.

Museen und wissenschaftliche Institutionen konkurrierten um die Vorfahren als „Objekte“. Häuser wie das Königliche Zoologische und Anthropologische Ethnographische Museum in Dresden, heute das Museum für Völkerkunde Dresden, hatten eine eigene Anthropologische Forschungsabteilung. Dafür kauften sie die verstorbenen Menschen für die Knochensammlungen an oder nahmen sie als Schenkungen entgegen.

Diese Praxis dauerte ungefähr ein Jahrhundert.

Viele der Vorfahren wurden ab 1909 in einer Skelettgalerie im Dresdner Zwinger ausgestellt. Während des 2. Weltkriegs wurden die Vorfahren in Dresden eingelagert. Sie sollten so vor der Zerstörung bewahrt werden. Die Ur- und Frühgeschichtssammlungen im Museum für Völkerkunde zu Leipzig hat die Bombenangriffe 1943 nicht überstanden. Sie enthielten ebenfalls Vorfahren aus kolonialen Kontexten.

Deakzessionierung ist ein zentraler und vielversprechender Bestandteil aller Repatriierungs- und Restitutionsprozesse. Durch Provenienzforschung und Forderungen der Rückführung kulturellen Erbes können erst historische Zusammenhänge erschlossen werden, die sowohl für ethnografische Sammlungen als auch für entsprechende Gemeinschaften wichtig sind. Es wird die Grundlage für einen gegenseitigen Austausch geschaffen, um Geschichten von Artefakten, Objekten, Fotografien oder Vorfahren von allen Seiten zu beleuchten. Gemeinsame Geschichte wird rekonstruiert und über die Objekte kommuniziert. In Dekolonisierungsprojekten geraten Menschen in den Austausch miteinander, der die Museen nicht leer, sondern reicher bestückt als zuvor hinterlassen wird.

Dekolonisierung beschreibt eine soziale Bewegung, die historische und bis heute fortwirkende koloniale Machtverhältnisse identifizieren und auflösen möchte. Das hauptsächliche Ziel dieser Bewegung ist es, Communities, insbesondere ehemals kolonisierte, zu unabhängiger Selbstbestimmung zu verhelfen.

Die kolonialen Aktivitäten des Deutschen Kaiserreichs waren nicht auf die Grenzen des kolonialen Territoriums begrenzt: deutsche Institutionen waren auf den internationalen Märkten vertreten und pflegten Beziehungen in alle Ecken der kolonisierten Welt. Für viele dieser Aktivitäten bestehen Nachweise außerordentlicher Brutalität und gewaltsamsten Vorgehens. Aus diesem Grund befinden sich im Museum Objekte vielfältiger Herkunft, die verschiedenste Geschichten kolonialer Unterdrückung erzählen.

Die Zeit des Kolonialismus kann nicht rückgängig gemacht werden. Geschichtliches Wissen, Bewusstsein und nachträgliche Einsicht wecken in uns die Frage: wie können wir von hier aus weitermachen?

Um in der Dekolonisierungsbewegung aktiv zu werden, können Sie/könnt ihr bspw. die GRASSI TALKS Veranstaltung besuchen, Kontakt mit den lokalen Arbeitskreisen zu postkolonialen Themen aufnehmen oder postkoloniale Geschichte der örtlichen Universität entdecken.

Die Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen (SES) sind Teil der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) und als solche eine nachgeordnete Behörde des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft, Kultur und Tourismus. Das Ministerium entscheidet auf Antrag der Sammlungen im Rahmen der geltenden rechtlichen Vorschriften, aber auch entsprechender sog. Softlaw-Vereinbarungen oder anderer politischer Willensbekundungen. Für besonders kostbare Objekte kann auch der Beschluss des Sächsischen Landtages notwendig sein. Wenn die Repatriierungs- oder Restitutionsansprüche bestätigt werden, legen Museum und Vertreter:innen der Herkunftsgesellschaft gemeinsam den geeigneten Rahmen für die Rückführung fest. Dieser kann eine Zeremonie beinhalten.

Weitere Informationen zum Ablauf einer Sammlungsanfrage finden Sie hier .

Zum Seitenanfang