Juanzi Cheng

Imperfect perfection (Interviews with ceramic artists from Jingdezhen)

HD Flachbildschirm, Video, 38 min, Loop

Imperfection • Strangeness • Porcelain

HD Flachbildschirm, Video, 17 min, Loop

Imperfect ceramic

Holzkiste, Sand, Keramikware, 160*100*70 cm

 

text 1: Projekt + Bild

"Kulturen" werden im Museum im wesentlichen durch Objekte repräsentiert, die für die Besucher*innen unberührbar hinter Glas inszeniert sind. Dieser Konstellation scheint die Annahme zu Grunde zu liegen, dass sich anhand der von ihnen hervorgebrachten Objekte die Spezifik von "Kulturen" erkennen lässt. Wird das Objekt museal präsentiert, bleibt dessen Körperlichkeit entzogen und die Auseinandersetzung auf Betrachtung und Projektion fokussiert. Welche Dimensionen würden sich erschließen, wäre das Berühren Teil der musealen Wahrnehmung?

© Staatliche Kunstsammlungen Dresden

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Wie fühlen sich Kratzer, Sprünge, unterschiedliche Lasuren und Farben an? Tradition und Perfektion scheinen im Hinblick auf Herstellen und Aussehen von Objekten eine zentrale Rolle zu spielen. Das Urteil, ob ein Objekt perfekt oder fehlerhaft ist, hängt vermutlich davon ab, wen man fragt. Angesichts des Umgangs mit chinesischer Porzellanware stellt sich zudem die Frage, ob es Sinn macht, von so genannten kulturellen Unterschieden auszugehen oder ob es der Unterschied zwischen Laie und Experte*in ist, der zu unterschiedlichen Beurteilungen führt.

© Staatliche Kunstsammlungen Dresden

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Worte der Künstlerin

Erste Überlegungen zum Aspekt des Fremden

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Wie man die Fragen zu den Aspekten „Tradition“, „Lokalität“, „äußerer Einfluss“ und „Invasion“ behandelt, ist eine sehr wichtige gesellschaftliche Thematik. Diese Thematik kann sich vor allem auch in der kreativen Arbeit vieler Kunstschaffender ausdrücken. Aus der Perspektive des westlichen Menschen ist die orientalische Kultur Chinas geografisch und kulturell fremd.

© Staatliche Kunstsammlungen Dresden

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So hoffe ich, dass diese Ausstellung als ein vermittelndes Medium gelten kann, welches gleichzeitig den chinesischen Blickwinkel darstellt und die Haltung und Ideen der chinesischen Künstler, die Porzellanwaren herstellen, auf authentische Weise vermitteln.

Den Ansatz, den ich gewählt habe, bezieht sich auf die Behandlung von Porzellanwaren, die von chinesischen Kunstherstellern als „nicht perfekt“, „inakkurat“ und „gescheitert“ angesehen werden. Hierbei soll erreicht werden, dass einerseits aus den Werken, mit denen die chinesischen Künstler unzufrieden sind, einige einzigartige künstlerische und handwerkliche Prinzipien und Standards herausgearbeitet werden können, andererseits aber auch das Denken des westlichen Betrachters angeregt wird, um zu erfahren, ob aus westlicher Betrachtungsweise heraus und im westlichen Sprachkontext die Produkte, die „nicht perfekt“, „inakkurat“ und „gescheitert“ sind, unter anderen Eindrücken und Denkweisen interpretiert werden.

Die interviewten Künstler und Handwerker stammen aus verschiedenen Generationen und besitzen unterschiedliche Hintergründe bezüglich Herstellung und Gestaltung von Porzellanwaren. Während der Interviews schilderten sie klar und deutlich ihre eigenen Sichtweisen und Haltungen zu Porzellanwaren. So erhalten sowohl einige, die die Tradition bewahren und vermitteln wollen, aus auch einige, die westliche und moderne Elemente in Ihre Arbeit integrieren wollen, in den Interviews eine Stimme.

 

Die zweite Überlegung zum Aspekt des Fremden

 

Die Stadt Jingdezhen befindet sich im Nordosten der Provinz Jiangxi, China, und produzierte seit der Qing-Dynastie (1636-1912) Porzellanwaren, die speziell für den Gebrauch am Kaiserhof gedacht waren. Aufgrund der extrem hohen Anforderungen an Material, Fertigung und Qualität stellen die offiziellen Porzellanwaren Jingdezhens nachweislich den Höhepunkt der Entwicklung der traditionellen Porzellanherstellung des alten Chinas dar.

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Aufgrund der langen Tradition und Historie der Porzellanherstellung und der exquisiten Qualität hat sich Jingdezhen zur „Porzellanhauptstadt“ Chinas aufgeschwungen, in welcher sich Stile aus vielen Regionen vereinen und Hersteller und Künstler aus ganz China zusammentrafen.

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Jingdezhen ist nach chinesischen Maßstäben eine kleine Stadt. Doch aufgrund der Entwicklung der Porzellankunst in den letzten Jahren hat sie einen gewissen Grad an Kosmopolitismus erlangt. Es gibt alle Arten und Größen an Fabriken und Manufakturen, von der kleinen Werkstatt bis zum Großbetrieb. Künstler und Handwerker aus China und der ganzen Welt treffen hier aufeinander. Es werden unterschiedliche Arten an Porzellan produziert, für den Alltagsgebrauch, für den Export, Fresken mit verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Motiven, sowie Porzellankunst unterschiedlichster Stilrichtungen. Fast alle Menschen gehen hier einer Tätigkeit nach, die direkt oder indirekt mit der Porzellanherstellung verbunden ist, und bauen auf einen Zusammenhalt, wie es nur ein Leben mit und für Porzellan geben kann. Die Besonderheit Jingdezhens basiert hierbei jedoch keineswegs auf Quantität, sondern auf der Reputation seiner Werke und Produkte.

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Nach der Reprivatisierung der Porzellanproduktion in den 90er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts erlebte Jingdezhen erst einmal eine wirtschaftliche Krise, was jedoch den Weg zu der heutigen grandiosen Rückkehr zu der traditionellen Handwerkskunst der Porzellanherstellung ebnete. Eine große Vielfalt an großen und kleinen Handwerksmanufakturen und Ateliers prägen das Stadtbild des heutigen Jingdezhens.

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Hier findet man Hersteller und Künstler aus aller Herren Länder und allen Regionen Chinas, die sich mit voller Hingabe und Enthusiasmus der Porzellankunst widmen. Sie werden in Jingdezhen als „Jingpiao“ („Wahl-Jingdezhen-er“) bezeichnet und kommen somit folgerichtig außerhalb von Jingdezhen, haben sich jedoch in Jingdezhen niedergelassen, um mit der Porzellankunst ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Leider existieren auf der Welt nicht sehr viele Orte wie Jingdezhen. Obwohl sich die Stadt im Landesinneren und in eine ärmeren Provinz befindet, so zieht sie doch eine große Masse an Menschen von außerhalb an. Das Porzellan dient hierbei als das alle verbindende Element.

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Entweder haben sie das Ziel, selbst hochwertiges Porzellan zu erschaffen, oder sie möchten als Gesellen und Arbeiter mitproduzieren. Andere wiederum berufen sich eventuell darauf, dass bei Jingdezhen die wahren Wurzeln der chinesischen Porzellankunst liegen, und haben deshalb Jingdezhen als Lebensmittelpunkt gewählt. Aus diesen Grunden spielen Begriffe wie „Äußerer“, „Ausländer“ oder „westliche Kultur“ in Jingdezhen keine große Rolle, denn unter dem verbindenden Element der Porzellankunst werden hier alle Menschen vereint.

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Deshalb habe ich noch einmal einige Überlegungen angestellt, wie Menschen fremde Kulturen definieren und abgrenzen. Die voranschreitende Globalisierung wird darin resultieren, dass es bald keine mehr gänzlich fremden Zivilisationen und Kulturen mehr geben wird. Mit dem fortschreitenden Informationszeitalter, ins besonders mittels des Internetzes, verwischen die Abgrenzungen und Definitionen der Herkunft, Nationalität und Menschentypen und werden eventuell ersetzt durch verschiedene Aspekte „der Verbindung gemeinsamer Interessen und Tätigkeiten“.

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Menschen werden verstärkt aufgrund gemeinsamer Interessen und Interessensobjekte aufeinander zugehen und neue geistige Strukturen erschaffen. Jingdezhen stellt in diesem Kontext eine Miniatur dieser Tendenz dar, die eine solche Zukunft erahnen lasst.

 

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