Das Fischhaut-Gewand

Nicht nur die sinkenden Temperaturen im Herbst 2021 weisen auf das Herannahen des Winters hin: auch in den Werkstätten der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden hält er Einzug in Form eines arktischen Fischhaut-Gewandes aus Alaska. Fischhaut-Gewänder wurden und werden bis heute in den kältesten Regionen der Erde als Regenmantel genutzt. Die verwendete Fischhaut ist aufgrund ihrer natürlichen Eigenschaften wasserabweisend. Darüber hinaus verfügt sie über die Eigenschaft, bei Feuchtigkeit ihr Volumen zu vergrößern: in Verbindung mit speziellen Nähstichen führt dies dazu, dass sie selbst an den Nahtbereichen kein Wasser durchlässt. Der/die Träger:in und die sich unter dem Gewand befindliche Kleidung werden so vor Nässe und deren Wirkung geschützt. Dies ist eine elementare Voraussetzung für das Überleben der Person, um Unterkühlungen oder Erfrierungen zu vermeiden. 

Das Gewand wurde aus über 60 einzelnen Fischhautabschnitten hergestellt und weist Verzierungen aus anderen Häuten sowie partiell eine rotbraune Bemalung auf. Über die Objektgeschichte ist bekannt, dass das Gewand vermutlich Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts vom Herrnhuter Missionar Adolf Gottlieb Stecker gesammelt wurde und 1911 in die Sammlung des Völkerkundemuseums Herrnhut gelangte. Ende der Sechziger Jahre wurde es an die Dresdner Sammlung verkauft, bevor es mit dem Zusammenschluss der Völkerkundemuseen schließlich wieder nach Herrnhut gegeben und dort mit anderen Objekten ähnlicher Provenienz ausgestellt wurde. Im Zuge des Umbaus und mit dem Verdacht auf Schädlingsbefall wurde es aus der Vitrine entnommen.

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© Julia Ziegler, Staatliche Kunstsammlungen Dresden
Untersuchung des Fischhaut-Gewandes unter dem Mikroskop

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In den Werkstätten des Museums für Völkerkunde Dresden (MVD) wurde das Gewand eingehend von der Praktikantin, Helene Schneider und der Restauratorin des MVD, Julia Ziegler, untersucht. Der bereits festgestellte Insektenbefall äußerte sich nicht nur in Form von zahlreichen an der Kleidung verbliebenen Überbleibseln der unerwünschten Bewohner, sondern auch in Form von Fraßlöchern, die die Stabilität des Gewandes gefährden. Im ersten Schritt der Bearbeitung wurde das Gewand im Rahmen des Praktikums von sämtlichen Schädlingsresten befreit, indem sie mithilfe eines weichen Ziegenhaarpinsels und einem speziellen Staubsauger entfernt wurden. Um dem Kleidungsstück, das sich sehr flach und formlos darstellte, wieder mehr Form und Wirkung zu verleihen sowie starke Knickfalten, die vermutlich aus Transport und Lagerung resultierten zu reduzieren, wurde es in einer Klimakammer befeuchtet. Dies bewirkte eine Entspannung des Materials, die das Einbringen eines passgenauen und individuell angefertigten Inlays ermöglichte. Diese Rückformung resultierte dank der wiederhergestellten, dreidimensionalen Form in einem besseren Verständnis der ursprünglichen Funktion des Regenmantels.

Da das Gewand noch zahlreiche Fragen aufwirft sowie die Notwendigkeit für nötige konservatorische Maßnahmen aufweist, wird die Bearbeitung im Rahmen einer Projektarbeit im Masterstudiengang für Objektrestaurierung von Helene Schneider, Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, unter der Betreuung von Julia Ziegler, durchgeführt. Den wichtigsten Schritt der weiteren Bearbeitung stellt die Sicherung der Fraßlöcher dar: dies betrifft beispielsweise Fehlstellen in Bereichen an den Nähten, die aufgrund des fehlenden Materials ihren Halt verlieren. Infolgedessen können weitere Schäden sowie Verlust auftreten, die zwingend vermieden werden müssen. Für die dafür nötigen Hinterlegungen werden mithilfe von Recherchen und Testreihen die hierfür möglichen Materialien evaluiert, um ein optimales individuelles Bearbeitungskonzept zu erstellen. Darüber hinaus werden auch Forschungsfragen untersucht: welche Fischart wurde für die Materialgewinnung genutzt? Womit wurde genäht? Welches Pigment und welches Bindemittel wurden für den Farbauftrag verwendet?

Sämtliche Arbeitsschritte und Untersuchungsmethoden sollen heutigen ethischen Ansprüchen an die Konservierung und Restaurierung von Kulturgut entsprechen.

 

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